Unter der Leitung von Helmut Baumer (mit dem Rücken zum Publikum) legten sich die Musiker ordentlich in Zeug. Dem Publikum gefiel's.

Lutherhaus: Musikverein-Stadtkapelle wartet bei seinem 34. Frühjahrskonzert mit einem breiten und anspruchsvollen Repertoire auf.

Draußen Regen, drinnen Wellen

Schwetzingen, Sonntag, 17 Uhr: Trister Regen verhüllt das Lutherhaus. In diesen Augenblicken soll das 34. Frühlingskonzert des Musikvereins-Stadtkapelle beginnen, doch von Frühlingsgefühlen ist der durchnässte Zuhörer zu diesem Zeitpunkt etwa so weit entfernt, wie Schwetzingen vom Nil. Dass sich diese Ansicht schon Minuten später radikal verändert haben wird, kann der geneigte Gast noch nicht wissen. Und somit muss man zunächst einmal jede Skepsis verstehen, die daran zweifelt, dass auch nur irgendwer das depressive Grau am Himmel vertreiben kann.


Pure Leidenschaft
Doch dann diese Ouvertüre. "Ross Roy" ist ihr Name und als Bezeichnung ein schlechter Scherz für den Emotionsorkan, den sie auslöst. Man muss es gestehen, solch packende Volten hätte man dem allzu brav auf die Bühne schreitenden Helmut Baumer nicht zugetraut. Doch schon beim ersten Stück seiner Premiere als neuer Dirigent des Musikvereins-Stadtkapelle zeigt er überdeutlich, wie sehr er dieses Amt verdient hat. Leidenschaft, Überzeugung, Freude - nichts davon muss man in Jacob de Haans Komposition vermissen. Ganz, als wäre ihnen ein Felsbrocken vom Herzen gefallen, saugt das Ensemble die warmen Ströme des Beifalls auf.

Stolz auf diesen Klangkörper
Man spürt die Erleichterung des gut 30-köpfigen Orchesters sehr genau. All die Mühen der dreimonatigen Vorbereitung münzen sich in diesem Moment in Zufriedenheit um - und werden im entfesselten Spiel des Klangkörpers greifbar.
Man darf das gerne wörtlich nehmen, denn als Markus Götz' "Cabo Verde" in den Raum schallt, glaubt man wirklich für einen Augenblick, die leicht salzige Luft auf der Zunge schmecken und die raue Palmenrinde mit den Händen berühren zu können. Herrlich rauschen die Wellen im Zusammenspiel aus Klarinetten und Saxofonen, während das Akkordeon leise sein meerestrunkenes Lied anstimmt. Sicher ist auch solche Idylle nicht frei von jeder Melancholie und Schwermut. So anmutig und plastisch jedoch, wie die Stadtkapelle selbst den aufständischen Klängen der kapverdischen Einwohner Raum gibt, hat selbst der moralische Missstand ästhetische Qualitäten.
Da betont Oberbürgermeister René Pöltl ganz zu Recht, dass man "auf solch einen Klangkörper nur stolz sein kann."
Doch mit hoher Qualität allein scheint es zumindest für Helmut Baumer durchaus nicht getan. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagte er noch vor dem Konzert, dass es vor allem die Diversität des Repertoires ist, die er ausloten will. "Es ist doch wunderbar, dass wir inzwischen weit mehr als Polkas und Märsche spielen können", so Baumer wörtlich.
Und wenn er auch an Werken wie Wilhelm August Jureks "Deutschmeister Regimentsmarsch" nicht vorbeikam, so hielt er ansonsten doch Wort. Denn wo die mittelalterlichen Querflötenklänge aus Kurt Gäbles "Celtic Flutes" dem Latin-Flair aus Caro Emeralds "Night Like This" gegenübergestellt werden, kann von künstlerischer Einfalt keine Rede sein, im Gegenteil.

Mut bei Auswahl und Einsatz
Bei Cy Olivers "Opus One" beweist Baumer sein Auge für den frühen Jazz des 20. Jahrhunderts, zeigt mit dem "Speak Up Mambo" ein Understatement für kubanische Rhythmen und stößt die Tür in die Moderne mit Melodien aus "Jurassic Park" und dem Unterhaltungsgaranten "Robbie Williams" schließlich ganz weit auf. Man darf und muss es jedoch auch sagen: Ohne sein derart kraftvoll und beherzt aufspielendes Ensemble könnte freilich auch Helmut Baumer nichts ausrichten. Und so muss man es als große Leistung betrachten, dass der neu zusammengeschweißte Klangkörper sich bei der Filmmusik zu "The Rock" bereits eine Solo-Trompete im Pianissimo zutraut und auch sonst Wert darauf legt, sich auf den prallen Tutti-Passagen nicht auszuruhen.

Fantastisches Solo
Man kann hier nur zu noch mehr Mut zum Solo wünschen, denn wenn ein jeder alleine so begnadet musiziert wie Karin Vierling und Ernst Wulf das bei "Celtic Flutes" tun, kann das nur zum Genuss werden.
Schwetzingen, Sonntag, 19.20 Uhr: Noch immer regnet es vor dem Lutherhaus Bindfäden. Doch in den Herzen ist Frühling geworden. Der Musikverein-Stadtkapelle zieht in eine neue Zeit und ein furioser Anfang ist gemacht.
 

Schwetzinger Zeitung, 19.03.2013