Der Musikverein-Stadtkapelle unter der Leitung von Helmut Baumer überzeugt mit seinem Können.
Lutherhaus: Musikverein-Stadtkapelle wartet bei seinem 34. Frühjahrskonzert mit einem breiten und anspruchsvollen Repertoire auf.
Mit geschliffenem und präzisem Klang
Wir befinden uns im Jahr 2014 nach Christus. Ganz Deutschland ist von Stadtkapellen besetzt, die sich in ihrem breiten, bräsigen Sound gefallen und mit Anlauf zu pomadigen Altherrenmannschaften verkommen. Ganz Deutschland? Nein! Ein unbeugsames, von Schwetzingern bevölkertes Lutherhaus hört nicht auf dem Eindringling Widerstand zu leisten - und das verstaubte Bild überkommener Traditionen dabei mit kräftigem Pinselstrich neu zu malen.
Schon die Stimmung im Lutherhaus an diesem Nachmittag ist bezeichnend. Obwohl die Sonne drückt und die Luft im Saal nun wahrlich nicht die beste ist, herrscht rege Betriebsamkeit, füllen sich die Tische, lebt die gute Laune in vollen Zügen. Ein Roll-up mit dem Slogan "Vielseitigkeit liegt in der Luft" ziert den Eingang und könnte wohl kaum besser ausdrücken, was den Musikverein-Stadtkapelle bei seinem 35. Frühjahrskonzert derart zeichnet. Gerade einmal ein Jahr ist es her, dass Dirigent Helmut Baumer seinen Einstand beim Musikverein gab, doch was er gemeinsam mit dem ersten Vorsitzenden Reiner Vierling in diesen zwölf Monaten geleistet hat, um aus einer ambitionierten Laienkapelle einen Klangkörper von Spitzenqualität zu formen, verdient die tiefste Verneigung.
Junges Ensemble ganz routiniert
Schon in den ersten Sekunden dieses Konzerts sind diese Impulse unmissverständlich zu spüren. Mit zehn Mann steht sie da, die "Crazy Bläser-Company", die sich im vergangenen halben Jahr unter der Leitung von Sylvia Treiber zum auftrittfähigen Nachwuchs-Ensemble mauserte. Ganz schüchtern, fast verschämt, wirken sie, all die jungen Talente, die vom Verein alle selbst ausgebildet werden. Zu Adeles "Rolling In The Deep" groovt das frisch gegründete Ensemble so routiniert und angriffslustig, dass der rauschende Applaus allzu Recht wie ein Gewitter durch den Saal tobt. Davon will man mehr hören!
Mittlerweile will es ja kaum noch wundern, doch selbst bei der Stückauswahl zeigt sich Helmut Baumer nicht nur auf der Höhe dessen, was Blasmusik heute überhaupt kann - er setzt Maßstäbe. Vom imposant-polternden "Mars der Medici" über die "Tell"-Ouvertüre von Rossini bis hin zur modernen "Tarzan"-Suite lässt Baumer seinen Klangkörper dem Publikum nicht einfach den berüchtigten bunten Blumenstrauß aus Stilen und Emotionen auf den Tisch klatschen.
Was wir hier hören dürfen, hat Hand und Fuß, packt die Nerven und verzückt die Gemüter. Nur eines von so unzählig vielen Beispielen dieses Nachmittags: Kees Vlaks "The New Village". Zartfühlend melancholisch malt das Orchester das Bild eines Dorfes inmitten epischer Naturlandschaften. Mächtig soll es von den Erdgewalten gepackt und zerschmettert werden - doch nichts da! Dieses Dorf gibt sich nicht so leicht geschlagen! Mit straffem, weitem Ton setzen sich die Bläser zur Wehr, überraschen den Gegner mit ihrer kraftvollen Dynamik und sind von ihrem raschen Sieg sogar selbst ein wenig überrascht. Das nennt man dann wohl Überwältigung! Der Moment ist nur ein allzu kurzer, doch erklärt er das Prinzip lupenrein: Denn welch' unbändige Kraft wirklich in ihm steckt, hat das Blasorchester wohl erst jetzt so richtig begriffen. Ein neuer, zweiter Atem, der geradezu Flügel verleiht.
Musik mit Leidenschaft
Wie Theresia Holder uns mit einem Thema aus "Schindlers Liste" an der Klarinette auf die wohl schönste musikalische Art und Weise die Herzen schwer macht. Wie der elfjährige Benjamin Zweig beim japanischen Volkslied-Klassiker "Yagibushi" an der Mini-Pauke den Takt vorgibt, als hätte er noch nie etwas anderes getan. Wie das ganze Orchester zum kenianischen "Jambo Africa" in den rauschhaften Gesang einstimmt und Helmut Baumer auf dem Podest seine Hüfte spielen lässt. All das ist Leidenschaft, ist Aufrichtigkeit, ist im wahrsten Sinne des Wortes beseelte Musik. Reicher kann wirklich kaum beschenkt werden. Denn wenn man sich vom Garland-Hit "In The Mood" bis hin zum progressiven "Magnetberg" aus "1001 Nacht" noch nicht einmal um korrekte Einsätze und richtige Töne Sorgen machen muss, weil von der Querflöte bis zum Horn, von der Trompete bis zur Tuba wirklich alles passt, ist man Zeuge eines Sounds geworden, der geschliffen und präzise daherkommt, ohne je seine Echtheit preiszugeben. Da können sich die restlichen Stadtkapellen dieses Landes warm anziehen - in Schwetzingen jedenfalls sind die Schwerter gewetzt.
© Schwetzinger Zeitung, Dienstag, 08.04.2014